text judith beck

Was bleibt, wenn etwas nicht mehr da ist, was wird aus dem, was vergeht? Allen Werken Jikke Ligteringens liegt diese Zentralität des Verschwindens zugrunde. Inspiriert von Phänomenen des Sich-Verflüchtigenden greifen sie zugleich den ephemeren Charakter ihrer Kunst auf und nimmt ihn bisweilen selbst an. Egal ob in Ligteringens Malerei, Collage oder in ihren aufwendigen, konzeptuellen und prozessorientierten Projekten, immer versinnbildlicht sich es leitmotivisch im Verhältnis von Natur und Mensch. Dieses wird als Narrativ gestaltet: Mittels reduktionistisch verwendeter, einzelner Objektreste aus dem Bereich des kulturell-zivilisatorischen wie z. B. Tapetenreste, oder via Raumszenarien wie beleuchtete Fußballfelder, in denen kein Mensch zu sehen ist. Ligteringen extrapoliert ihr Interesse am Menschen – an seiner Positionierung zu sich selbst und zur Gesellschaft in der Empfindung der Deplatzierung – dadurch, dass sie ihn mithin nicht in den Kontexten portraitiert und darstellt, in welchen er normalerweise zu finden ist. Hingegen provoziert sie durch die kompositorische Anschaulichkeit der Auslassung die optionale Einflussnahme auf ein Geschehen, vor allem aber auf die Natur, wenn beispielsweise Werke wie That’s what’s left (2014), Me as a house (2013) oder in dem Video Intrusion in cmy (2014) den Betrachter in die Ambivalenz von geborgener Ruhe und unheimlichem Nichts hineinführen. Unterminiert wird, wie sich der Mensch normalerweise sichtbar macht und darin seine Geschichte erzählt. Jedoch, in dieser Weglassung wird jene Geschichte zu einer von aberhundert anderen erzählbaren Eventualitäten. Derart symbolisiert Ligteringen die Grenzen, aber auch die Möglichkeiten des menschlichen Seins zunächst in die Anschauung der Leere und der Weite einer Landeigenschaft. Simultan verweist sie solcherart ferner auf einen Raum, der vergehend entsteht, um Neues hervorzubringen.

Ihre aktuellen Arbeiten führen diese Dimension weiter und fokussieren zugleich den Aspekt der Zeit als den einer Kultur, die den vertrauten Menschen entbehrt. In ihnen finden sich gleichfalls transgenerationale Einflüsse sowie biografische Elemente der Legasthenie und Besonderheiten der Zeitwahrnehmung, feinsinnig derangieren sie Außenränder normierter Wahrnehmungsrichtungen, wie bei Looking for shades (2013). Dieses Werk ließ echten und künstlichen Schatten zeitgleich existieren und manipulierte so kunstvoll den Verlauf der Sonne – die entstandenen Formen muteten wie Wurzeln oder Lungen an, sie potenzierten gleichsam das kreatürlich Naturhafte. Wo diese Dimension der Zeit zum Tragen kommt, zeigen Ligteringens Werke eine konzentrierte Auseinandersetzung mit dem Sich-Erinnern und Erinnert-Werden, in welchen beiden sich der Betrachtende einerseits sucht und andererseits sich in diesem Prozess wieder oder gar neu erzählt, so geschehen bei Raum der Erinnerung (2014). Ligteringen spielt mit der Angst vor dem Verlust der Erinnerungen und den zu oft gleich erzählten: Die Stille, die Ligteringens Werke dadurch auslösen, setzt, dessen ungeachtet, neue Räume frei, weitere Erinnerungen hervorzurufen. Nicht zuletzt fällt die derzeitige Zunahme einer Fluchtpunkt-Perspektivität bei der Anordnung jener verweisenden Objekte auf, welche zum unerwarteten Konvergenzpunkt wird. Diese Werke konkretisieren noch intensiver als bisher die Zentralität des Ephemeren und doch evozieren sie zugleich für den Betrachter Urbilder und archaische Kraftorte, auf die der Mensch gestalterisch einwirken kann – wenn er sich nicht darin verloren und einsam fühlt.

J. Beck über J. Ligteringen